Magento 1 EOL - Interview mit OpenMage

17.09.2020
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Es sind nun ein paar Wochen nach dem offiziellen Support-Ende von Magento 1 und für die meisten Onlineshop-Betreiber hat sich seither wenig bis gar nichts geändert. Nichtsdestotrotz wird vielerorts darauf hingewiesen, dass mit dem Magento 1 EOL viele Risiken verbunden sind.

Welche das sind und wie man darauf reagieren könnte, haben wir mit Daniel Fahlke, Gründungsmitglied von OpenMage besprochen.

Was ist OpenMage?

OpenMage ist zum einen ein sogenannter Fork von Magento 1, d.h. wir haben den Code von Magento 1 genommen und entwickeln diesen entsprechend weiter, indem wir eigene Patches und Weiterentwicklungen in diesen Code einfügen.

Aber OpenMage ist nicht nur der Code selbst, sondern bezeichnet gleichzeitig eine Gruppe von Entwicklern, die sich unter diesem Namen zusammengefunden haben, um das Projekt weiterzuführen. Das Maintainer-Team besteht aus sieben Personen ‒ Entwicklern in Agenturen, aber auch Freelancern und Leuten, die direkt bei den Shops arbeiten. Hinzu kommt noch eine große Gruppe an Freiwilligen, die auf die unterschiedlichste Art zu dem Projekt beitragen. Sie helfen uns beispielsweise bei der Website oder ergänzen die Dokumentation. Die Maintainer geben dabei die Richtung des Projekts vor, sind aber in erster Linie dafür da, den “Helfern” nicht im Weg zu stehen und sie so zu lenken, dass es am nützlichsten für alle ist.

Allen gemeinsam ist, dass sie schon länger Probleme mit Magento 1 haben bzw. hatten, in dem Sinne, dass es bereits Probleme mit der Version gab, die bisher nicht von Magento gelöst wurden. Aus diesem Grund gibt es dieses Projekt auch schon länger als den meisten bekannt ist, nämlich bereits seit 2014. Ursprünglich mit dem Ziel, Verbesserungen und Bugfixes zu sammeln, die bereits durch die Community erstellt und veröffentlicht, aber nie durch Magento 1 aufgegriffen und gelöst worden sind. Der Magento 1 EOL hat uns dann in der Bekanntheit noch mal stärker in das Bewusstsein von Entwicklern und Shopbetreibern gebracht. Natürlich hilft uns, dass wir bereits sehr etabliert sind und man unsere Expertise anerkennt. Wir werden daher nicht nur sehr oft weiterempfohlen, sondern beim Browsen nach Magento 1-Themen auch schnell “gefunden”.

Der EOL hat die Arbeit für uns aber natürlich auch viel spannender gemacht, denn er gibt uns deutlich mehr Freiheiten. Vorher haben wir sehr stark darauf geachtet, nur Änderungen anzunehmen, die wir problemlos in den vorhandenen Code integrieren bzw. wofür wir Magento-kompatible Patches anbieten konnten. Da von Adobe nun kein Support mehr kommt, sind wir da merklich kreativer geworden. Übrigens haben wir auch erst einmal den Code aufgeräumt ‒ keine strukturellen Veränderungen, aber den Code selbst. Er entspricht nun den heutigen Standards und es ist wesentlich leichter, mit ihm zu arbeiten und ihn zu lesen.

Was bietet Ihr genau an?

Unsere primäre Aufgabe ist es immer noch, ein zentrales Zuhause für sämtliche Patches zu bieten, die von der Community bereitgestellt werden. Um das ein bisschen besser zu strukturieren, haben wir Prozesse eingeführt, die auch gewisse Qualitätsstandards sicherstellen.

Darüber hinaus entwickeln wir aber auch noch weiter. So achten wir beispielsweise darauf, dass neue PHP-Versionen unterstützt werden, oder auch Datenbanken in den unterschiedlichen Versionen ‒ also alles, womit man sowieso schon Magento 1 benutzt.

Langfristig gesehen haben wir aber noch weitere Dinge vor, beispielsweise Erweiterungen der API und den Ausbau der Sicherheitsstandards durch Elemente wie die 2-Faktor-Authentifizierung und anderen Sachen.

Welche Voraussetzungen gibt es für die Nutzung von OpenMage?

Es gelten dieselben Voraussetzungen wie bei Magento 1. Die Systeme sollten allerdings möglichst auf dem aktuellsten Stand sein, beispielsweise hinsichtlich der PHP-Versionen.

Welche Vorteile bietet OpenMage?

Ein großer Vorteil von OpenMage ist, dass kein Migrationsaufwand im eigentlichen Sinne entsteht, da wir ja sehr darauf achten, dass die Codebasis größtenteils gleich ist. Die Alternative wäre der Wechsel zu einer anderen Plattform, was mit einem bedeutend höheren Aufwand verbunden wäre.

Zudem achten wir auf die Rückwärtskonvertibilität, d.h. wir werden in den nächsten Jahren wenig Änderungen haben, die ein aktives Eingreifen nötig machen, so wie es bei anderen Systemen und gerade bei Magento 2 derzeit noch häufig vorkommt.

Für Entwickler, die das System schon länger nutzen, ergeben sich zusätzliche Vorteile, denn es ja älter in dem Sinne ist, dass bereits sehr viele Dokumentationen und Problemlösungen existieren.

Außerdem ist üblicherweise der Hosting-Aufwand geringer als bei anderen Systemen, da es weniger “verpflichtende” Add-ons gibt.

Ist Magento 1 für Entwickler noch interessant?

Für viele Entwickler gilt, dass sie sich nicht mehr mit “altem Kram” beschäftigen wollen, sondern nur mit den neuesten Sachen. Das hat viel damit zu tun, dass sie zeitlich vom Arbeitgeber nur dann die Möglichkeit bekommen, sich mit Software und Technik eingehender zu beschäftigen, wenn diese auch vom Arbeitgeber eingesetzt werden. Aus diesem Grund will man sich dann natürlich mit möglichst aktueller Technologie beschäftigen. Das können wir mit OpenMage nicht bieten.

Aber das Engagement hängt auch davon ab, in welchem Gebiet man tätig ist, ob im Frontend- oder Backend-Bereich. Gerade im Frontend hat man auch mit Magento 1 durch das Thema PWA die Möglichkeit sich mit neuesten Technologien zu beschäftigen, während man sich im Backend weiterhin auf ein sehr stabiles, jahrelang getestetes System verlassen kann.

Was ist das besondere an Magento 1 und gibt es Alternativen?

Das Besondere an Magento 1 ist aus unserer Sicht sicherlich, dass es ein bewährtes Shopsystem ist, das jahrelang gut funktioniert hat. Und aufgrund der Zeit, die es schon am Markt ist, sind einfach schon viele Probleme gelöst, die bisher bei anderen Shopsystemen noch nicht mal als solche aufgetaucht sind.

Magento 2 ist sicherlich ein Alternative und hat seine Daseinsberechtigung. Wenn man sich allerdings das Marketing und die bisherige Entwicklung so ansieht, wird deutlich, dass es besonders auf große, Enterprise-lastige Kunden abzielt. Und für diese ist das System durchaus eine sehr, sehr gute Wahl und vermutlich besser geeignet als jedes andere Shopsystem.

Das Problem ist, dass viele Kunden, die bisher Magento 1 eingesetzt haben, nicht in diese Kategorie fallen. Auch haben diese häufig nicht die finanziellen Mittel, ihre Shops zu migrieren. Besonders vor dem Hintergrund, dass die Kosten, einen Shop zu betreiben, derzeit stark ansteigen, da immer mehr zusätzliche Komponenten benötigt werden, wie beispielsweise Elasticsearch oder (vermutlich) langfristig auch RabbitMQ.

Zusätzlich setzt Adobe stark auf ihr eigenes PWA Frontend, sodass es durchaus passieren kann, das dies in Zukunft auch entsprechend mitlaufen muss.

Sind PWA als eine gute Alternative zu klassischen Shopsystemen?

Wie wir eben schon angesprochen haben, arbeiten Entwickler gerne an und mit neuen Sachen. Und das ist natürlich einer der wichtigsten Punkte, die mit Progressive Web Apps abgedeckt werden, da es für jede Frontend-Technologie auch die entsprechende PWA gibt, und so die Entwickler wirklich immer mit der allerneuesten Technologie arbeiten können.

Und gerade beim Thema “agiles Arbeiten” macht das vieles einfacher, weil Front- und Backend getrennt und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bearbeitet werden können. Insbesondere bei größeren Shops oder Teams ist das sehr sinnvoll.

Viele PWA sind jedoch noch nicht ausgereift ‒ zumindest meiner Beobachtung nach. Wenn man allerdings vorher sehr genau weiß, was man machen möchte, lässt sich das meist schon recht gut mit einer PWA abbilden.

Wenn man ein ausreichend großes Team hat und auch die Zeit, kontinuierlich daran zu arbeiten, dann ist eine PWA auf jeden Fall eine gute Wahl. Hingegen würde ich Unternehmen, die ein wartungsarmes System haben, noch davon abraten, denn das ganze Thema ist noch sehr jung und es gibt viel Bewegung. Diesen Unternehmen würde ich empfehlen, erst einmal auszutesten, was ihre Kunden eigentlich brauchen müssten und dann gegebenenfalls das System entsprechend umzustrukturieren bzw. anzupassen oder zu migrieren.

Welche Risiken ergeben sich für Magento 1-Shopbetreiber?

Im Zuge des Magento 1 EOL beschäftigen sich viele Entwickler und Händler zum ersten Mal intensiv mit dem Thema Sicherheit und Wartung ihrer Onlineshops. Bisher konnte man dieses Thema einfach auf Adobe abwälzen, vor allem natürlich, wenn man Partner oder Enterprise-Kunde war. In einem ersten Schritt wurde dann oftmals Magento für die Probleme verantwortlich gemacht und sollte für Lösungen sorgen ‒ und so lange man gemacht hat, was Adobe vorgeschlagen hat, war man auf der sicheren Seite.

Das ist natürlich jetzt schwieriger geworden, aber wir von OpenMage versuchen durch unsere Arbeit die Risiken für diese Shopbetreiber zu minimieren bzw. unseren Teil zur Risikominimierung beizutragen, indem wir eine Quelle anbieten, wo verlässliche Patches hinterlegt sind.

Risiken sind aber natürlich vorhanden, obwohl einige sich schon ein wenig relativiert haben, beispielsweise das Problem mit den Zahlungsanbietern, die im Vorfeld des EOL viele Kunden angeschrieben haben und mit Kündigung gedroht haben, wenn die Shops nicht umgehend migriert werden. Viele dieser Anbieter sind mittlerweile ein wenig zurückgerudert, vermeiden das Wort “Abschaltung” und erarbeiten mit den Kunden akzeptable Alternativen.

Bietet Ihr Kunden noch andere Unterstützung an?

Wir helfen Kunden gerne, sämtliche Änderungen bei uns in OpenMage einzugliedern. Das macht natürlich auch langfristig den Wechsel auf ein anderes System einfacher, aber wir unterstützen Händler nicht per se bei der Migration auf ein anderes Shopsystem.

Magento ist jetzt seit knapp zwei Monaten End of Life. Was hat sich seitdem verändert?

Es hat sich alles ein bisschen normalisiert. Es melden sich hin und wieder natürlich noch Leute, die wegen der Zahlungsdaten besorgt sind und wir erhalten auch immer noch viele Anfragen, mit allgemeinen Fragen zum EOL. Und natürlich bekommt unser Projekt mehr Aufmerksamkeit von Leuten, die sich erst jetzt mit der Thematik auseinandergesetzt haben und die jetzt tatsächlich wechseln wollen.

Was sind Eure nächsten Schritte?

Persönlich habe ich für das Projekt OpenMage einen Fünfjahresplan im Kopf, aber wir schauen natürlich kontinuierlich, was sich in der Community tut und wo die Interessen der Nutzer sind.

Wir haben bereits angefangen, zwei unterschiedliche Versionen zu teilen: einmal die Version 19, die noch komplett auf Magento 1 kompatibel ist, aber auch schon parallel die Version 20, in der wir uns mehr Freiheiten erlauben und durchaus auch einige Sachen einführen, die teilweise oder gar nicht mit dem ursprünglichen Magento kompatibel sind.

Hinsichtlich der nächsten Schritte ist der Support für PHP 8.0 ganz oben auf der Liste. Außerdem sind wir schon relativ weit mit einem automatisierten Testing, was wir entwickelt haben. Und dann sind da noch die Erweiterung der API und gegebenenfalls ein Frontend, was weniger JavaScript-lastig ist.

Alle Entwicklungen und unsere Planung kann man jederzeit auf unserer Internetseite nachvollziehen und wir sind auch immer offen für weitere Ideen und Unterstützung.


Zur Person Daniel Fahlke ist Magento-Entwickler und hat seine berufliche Laufbahn in einer Magento-Agentur begonnen. Er hat bisher sowohl als Freelancer als auch als Angestellter bei einem Shopbetreiber gearbeitet. Nach zwei Jahren als Entwickler bei einem Start-up, das soziale Netzwerke für Wissenschaftler aufgebaut hat, ist er nun wieder in einer Agentur tätig. Bei OpenMage ist er für die Koordination der Community sowie die Publicity verantwortlich.


Veröffentlicht am 17.09.2020 | NM